Griaß di, Servus und MoinMoin,
auch wenn der Spätsommer nochmals volle Fahrt aufnimmt, und mich mit zusätzliche Schwitzattacken ganz ordentlich – sagen wir mal – “ins schwitzen” bringt, ist der Sommer doch vorbei. Kinder rennen wieder fröhlich unkontrolliert in die Schule, die Blätter färben sich, Ferien und Urlaub sind vorbei und die Rindviecher sind auf dem Weg …
… also die Echten! Die mit den vier Haxn, und (wenn der Bauer will) den ordentlichen Hörnern. Nebenbei bemerkt, sehen die Kühe mit den amputierten Hörnern nicht dämlich aus? Sie können ja nichts dafür, aber Kühe mit Hörnern wirken stolz und respekteinflößend! Ja, sie sind schon gefährlich, diese wilden Tiere mit den sanften Kuhaugen und ihren dampfenden Nasen! Da will die Kuh – nennen wir sie Elsa – mal eben eine Fliege verscheuchen, und schon klemmt der Landwirt auf dem Horn. Ist schon gefährlich, aber mal ehrlich, so ein paar heroische Heldentaten aus dem Stall, imponieren die Frauenwelt doch auch mehr, als ..
Tolles Thema, tolle Einleitung, aber jetzt kommt Elsa vom Berg ins Dorf …
Viehscheid im Allgäu
Das Ende der Sommerfrische
Bis zu 30.000 junge Allgäuer Schumpen (das sind die weiblichen) verbringen den Sommer in den Bergen. Junge Kühe, die noch nicht zur Milchproduktionsmaschine gereift sind, dürfen auf der Alm kräftig wachsen, fit und robust werden. Die Flegeljahre werden sozusagen “außhausig” verbracht.
Nach drei Monaten Sommerfrische, teibt der Almhirte mit Helfern die Tiere zusammen, schmückt die Leitkuh prächtig, bindet jedem Tier eine ordentliche Zugglocke um, und dann geht es auf den Heimweg. Kam während des Sommers ein Tier zu schaden, bleibt die Leitkuh ungeschmückt.
Warum heißt das Viehscheid?
Nicht jeder Bauer besitzt seine eigene Alm. Gemeinden pachten eine Bergweide samt Hütte. Die Schumpen werden hier alle zusammen in die Alpen geschickt. Junge Burschen und Mädels helfen beim Weg hinauf und auch wieder hinab. Auf der Alm bleibt nur ein Hirte. Die Wege sind durchaus sehr lang. Bis zu 40km müssen Mensch und Tier laufen.
Am Ende der Sommerfrische in den Bergen kommen die Kühe nach dem Almabtrieb auf den Scheidplatz, wo der Hirte den einzelnen Bauern seine Tiere wieder übergibt. Im Allgäu spricht man auch vom “Scheid”.
Von Glocken und Schellen
“Mama, warum hatten die denn so unterschiedliche Glocken an?” Als das unglaublich laute Glockengebimel, ach was sag ich, von Gebimmel kann keine Rede sein, die hohe Anzahl der Schellen und Glocken ergaben einen Vibrieren im Magen, im Ohr, am Herz. Bei durchschnittlich 100 Dezibel pro Glocke ist das Geräusch schon imposant …Kennst Du den Song “FEVER! …. bummperumBUM!“? Da gabs mal eine Version bei der Muppetsshow, … Ach ich weich schon wieder ab.
…Also, als man sich wieder unterhalten konnte, hab ich mich als echter Allgäuer doch berufen gefühlt, dem kleinen Mädchen aus CastropRauxel (wow, welch ein Wort!) zu erzählen, daß rein theoretisch alle Kühe auf der Alm Glocken tragen. Damit der Hirte die verloren gegangenen Schäfchen Schumpen orten kann. Weil gegossene Glocken teuer sind und weil der Allgäuer an sich arm ist (naja, oder war), wurde die Kuhglocke geschmiedet, die dann Schelle heißt.
Für den Weg von der Alm zum Scheidplatz sind die großen Zugglocken oder -schellen vorgesehen. Das laute Leuten macht keine Laune auf Verweilen am Wegesrand. Der Lärm treibt die Kühe an.
Die Hirtenbuabe oder Cowboy´s
Da gibts junge, mittlere und ältere. Und wie unsere Kühe, sind auch die Jungs und Mädchen von der Alm (auch wenn sie nur zur Viehscheid die Kühe zusammenhalten) echt fesch und ansehlich. In Maierhöfen auf dem Viehscheid hab ich mal meine Lieblingsexemplare fotografisch festgehalten ….
Es gibt aber auch die Hirtenmädle. Im Dirndl und mit Bergschuh sieht man: Mit denen kann man was anfangen! Handfest, unerschütterlich und sehr weiblich.
Allgäuer Tradition und feste feiern
Der Viehscheid ist gelebte alpenländische Tradition. Keine Show oder Folkloreveranstaltung. Es ist echt. Vom Allgäu, von Oberbayern über Tirol, Südtirol und teilweise auch in der Schweiz kommt das Jungvieh in Sommerfrische in die Berge. Es gibt unzählige Almen und Menschen, die den Sommer auf den Hütten verbringen. Einfaches traditionelles Leben.
Traditionell, ist auch das “festen” nach dem Scheid. Erstens weil nichts passiert ist, Zweitens weil die Hirten endlich wieder zuhause sind und Drittens weil der Allgäuer gern groß feiert, wenn es einen Anlaß gibt. Fehlen darf natürlich nicht der Gottesdienst. In Bayern ist fast jedes Fest irgendwie mit dem Glauben verknüpft, auch wenn das nur noch wenige wissen.
Heute ist der Viehscheid ein Tourismusmagnet. Bierzelt, Partygaudi, Krämermarkt und Karusellbetriebe dürfen nicht fehlen. Das macht Spaß und gute Laune. Vor den Rindviechern läuft die Blaskapelle und macht “Dicke-Backen-Musik”, danach kommen die Alphornbläser und am Schluß sind die Festbesucher mit ihren Trachten auf dem Cow-Walk. Sehen und gesehen werden, und dann ab ins Vergnügen.
Sich durch die mehr oder weniger kulinarischen Genüße durchfuttern, zwischendurch ein Radler, dann hoppdihopp ins Kinderkarusell, schnell noch das kleine Karierte zurecht gezupft, dann die leckere Bratwurst, beim Kräuterstand noch ein “bitterer Engel” gekauft und schon lockt die Schiffschaukel ….
Und was machen die Muh´s?
Die stehen erschöpft auf der Wiese und freuen sich, wenn der ganze Allgäuer-Viehscheid-Spektacolo vorbei ist.
Quintessenz:
Viehscheid ist ein tolles traditionelles Fest.
Von jung bis uralt ist jeder dabei, und findet seinen Rythmus.
Die meisten Teilnehmer haben keine müden Beine.
Hirten & das Braunvieh schon.
Links:
Mir als Allgäuer Sprachforscher und Dialektliebhaber stellt es regelrecht die Haare (auch wenn es nur mehr wenige sind), wenn ich in diesem Beitrag immer von “Alm”, “Almhirte”, “Almabtrieb” usw. lesen muss, wo doch die einheimische Entsprechung “Alp” bzw. “Alpe” ist (s. obigen Link “Allgäuer Alpführer”!). Das ist nur eines von vielen Beispielen für Kapitulation vor dem bajuwarischen Sprachimperialismus. Durch diese sprachliche Anpassung an Altbaiern verliert das Allgäu immer mehr an Eigenheit und wird von außen leider nur noch als Anhängsel des oberbayerischen Alpenrandes wahrgenommen. Andere Beispiele: “Schmankerl”, “Hütt’n”, “Schmarrn”, “Wies’n”, “Stub’n”, “Stüberl”, “Stamperl”.
Lieber Manfred, ich freu mich, daß Du mit Deinen Allgäuer Sprachkenntnissen nun bei uns als Blogger tätig bist. Denn ja, das bajuwarische schwappt gnadenlos zu uns rüber und verselbstständigt sich. Etwas Aufklärungsarbeit kann hier nicht schaden ;-). Herzlich willkommen als neuer Blogger